Wie stellen sich Firmen wie Microsoft, Intel & Co. die Schule der Zukunft vor? Welche Fähigkeiten und Kompetenzen brauchen Lehrer*innen und Schüler*innen wohl in 10, 20 oder 30 Jahren?
Von den Vorstellungen der großen Unternehmen kann man sich regelmäßig überzeugen – in Werbevideos, auf Messen und bei Events wie der aktuellen Veranstaltungsreihe „Microsoft Schule von Morgen“, die gerade in mehreren Städten Halt macht.
Beim Termin in Köln war ich persönlich dabei, um mir einen Eindruck zu verschaffen. Auch auf der 👉🏼 Bildungsmesse didacta vor zwei Wochen habe ich mit einigen Firmenvertretern über dieses Thema gesprochen.
In diesem Blog-Artikel sammle ich meine Gedanken zur Schule der Zukunft und zum Spagat der Unternehmen zwischen Wunsch und Wirklichkeit.
Status Quo: Wie ist Schule heute?
Wer über die Schule von morgen schreibt, muss zunächst auf die Schule von heute blicken.
Ich erinnere mich gut an ein Plakat, das im Frühjahr zur NRW-Landtagswahl für einige zynische Kommentare im Internet gesorgt hat. Das Statement von FDP-Kandidat Nils Mehrer aus Dortmund ließ sich aber auch zu leicht missinterpretieren:
Der naheliegende Umkehrschluss: Das sind ja keine guten Aussichten für die Zukunft! Schließlich ist es um „Schule heute“ ja ziemlich schlecht bestellt. (Hilfreich war in diesem Zusammenhang sicher auch nicht, dass die FDP die damalige NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer gestellt hat.)
Hämische Kommentare im Netz sind natürlich immer mit Vorsicht zu genießen. So habe ich in dieser Woche bei TikTok ein neues Video veröffentlicht – zum eigentlich harmlosen Thema 🌍 „Arbeitsblätter erstellen mit PowerPoint“. Dass viele Lehrer*innen ihr Unterrichtsmaterial mittlerweile digital erstellen, trauen ihnen einige Kommentator*innen aber offenbar nicht zu:
@tkhnoamuabser: "Lehrer haben Arbeitsblätter vor 30 Jahren aus Büchern raus kopiert und die werden heute noch genutzt! Nix PowerPoint"
@urknall78: "das werden Lehrer nie lernen. nach vielen Jahren und Lehrern als Kunden weiß ich das Lehrer oft Fachidioten sind. Nix Könner außerhalb ihres untericht"
@carpi65: "Lehrer und Power Point und das in der Grundschule 🤣🤣🤣🤣 Science Fiction"
Ich beteilige mich grundsätzlich nicht an pauschalem Lehrer-Bashing und nehme in Schulen viel Willen zum Fortschritt wahr. Trotzdem regen mich auch solche Einzelmeinungen zum Nachdenken an.
Wenn also digital erstellte Arbeitsblätter mit einfachen Texten und Bildern schon als Science Fiction gelten: Wie viel Science Fiction steckt dann eigentlich in der Vision von Microsoft, in der Themen wie App-Programmierung, Künstliche Intelligenz und Augmented Reality zur Schule der Zukunft gehören?
Wie hilflose Marienkäfer auf dem Rücken
Bei meinen 👉🏼 Fortbildungen an Schulen und auch im persönlichen Umfeld stelle ich ehrlicherweise fest, dass noch verdammt viele Kolleg*innen das Klischee erfüllen: Beim Einsatz digitaler Tools wirken sie so hilflos wie Marienkäfer, die auf dem Rücken liegen, mit den Beinchen strampeln und allein nicht mehr hoch kommen.
Als technikbegeisterter Lehrender und Lernender sitze ich deshalb oft zwischen den Stühlen, wenn Firmen wie Microsoft in größeren Dimensionen denken. Beide Pole in meinem Kopf will ich hier mal transparent machen:
Einerseits:
„Digitale Bildung“ – wie auch immer man sie definiert – braucht Vordenker und Vorreiter. Vor jedem größeren Fortschritt stehen Menschen, die nicht nur Visionen haben, sondern auch die Energie und die Mittel, diese in die Tat umzusetzen.
Ich bin der Überzeugung, dass Schule solche Impulse von außen braucht, zum Beispiel von externen Experten und meinetwegen auch von Unternehmen, die nicht in den routiniert eingespielten Schulalltag verstrickt sind und die nicht ausschließlich durch die Brille des gerade Machbaren sowie der damit verbundenen Anstrengungen schauen.
Zu locker sitzt nämlich dieser ablehnende Reflex bei Lehrkräften, die das Schulsystem täglich am Laufen halten müssen. Sie stecken erfahrungsgemäß zu tief in ihrem Mikrokosmos, um Bewährtes mal grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen und Unterricht radikal neu denken zu können. Veränderungen sind eben anstrengend – erst recht nach diesen zwei besonders herausfordernden Jahren.
Das ist übrigens bei Transformationsprozessen in vielen anderen Branchen genauso, also nicht nur im Bildungsbereich: Unbeteiligten Köpfen fällt es oft leichter, die Meta-Ebene einzunehmen und vorurteilsfreie Visionen zu entwickeln.
Für deren Erfolg ist am Ende sicher entscheidend, wie gut es den Verantwortlichen in Unternehmen gelingt, sich in die Lage der Lehrenden zu versetzen und ein Verständnis für die tatsächlichen Probleme zu entwickeln.
Andererseits:
Wen wollen die Firmen mit ihren ehrgeizigen Zukunftsvisionen gerade eigentlich abholen oder gar begeistern? Wer soll bei den aktuellen Herausforderungen in Schulen denn noch den Kopf frei haben für gut gemeinte Programme wie zum Beispiel 🌍 „Skills for Innovation“ von Intel oder innovative Cloud-Konzepte von Microsoft & Co.?
Ich verstehe jedenfalls, dass manchen Lehrer*innen sämtliche Gedankenspiele zur Schule der Zukunft wie blanker Hohn vorkommen.

So klingt denn auch das Feedback mancher Teilnehmenden beim Microsoft-Event in Köln:
Wir brauchen gar nicht erst über Video-Feedback und Virtual-Reality-Brillen im Unterricht nachdenken, wenn’s im Klassenzimmer nicht mal stabiles WLAN gibt. Wenn sich einzelne Kolleg*innen nebenbei um die Wartung aller 👉🏼 Dienstgeräte kümmern müssen. Wenn ungeklärte rechtliche Fragen für Verunsicherung sorgen (Stichwort: 👉🏼 Datenschutz in Schulen).
Mir persönlich kommen manche „Zukunftsprogramme“ eher wie ein Schaulaufen einzelner Unternehmen vor, die mit stolz geschwellter Brust ihre technischen Entwicklungen vorführen oder einfach nur Lob für ihr Engagement im Bildungsbereich einheimsen wollen. Zu oft geht’s wie in der Werbung um fabelhafte Features und geile Gimmicks.
Leider haben die meist wenig mit dem zu tun, was im regulären Schulalltag brauchbar und sinnvoll wäre.
Technik um der Technik willen
Manchmal wundere ich mich auch darüber, wie wenig sich manche Firmen vorab mit didaktischen Methoden und pädagogischen Zielen auseinandersetzen – der Grundlage aller Überlegungen im Bildungsbereich.
Von solchen reinen Produktpräsentationen konnte man sich zuletzt auf der 👉🏼 didacta in Köln überzeugen: Motivierte Start-ups preisen dort ihre Apps und Tools an, als würden sie mit Nerd-Kumpels in ihrer IT-Blase plaudern.
Mit Technik um der Technik willen kommen wir in Schulen jedenfalls nicht weiter. Das betone ich in jeder meiner 👉🏼 Fortbildungen für Lehrer: Es geht nicht darum, aus Prinzip nur noch digital zu arbeiten.
Es geht darum, kompetent entscheiden zu können, wann welche Methode bzw. welche digitale Technologie besser oder schneller zum Ziel führt – sowohl bei der Vermittlung von Wissen als auch bei der Organisation der eigenen Arbeit als Lehrkraft.
Wachsende Diskrepanz zwischen Vision und Realität
Firmen müssen die Schule von heute noch besser verstehen, um die Schule von morgen mitzuentwickeln. Sie müssen ein besseres Gefühl dafür bekommen, wo die Problemfelder liegen und auch dafür Lösungen finden.
Woran krankt es hier? Aus meiner Sicht an der stetig wachsenden Diskrepanz zwischen Vision und Realität – und zwar auf drei Ebenen:
- der Diskrepanz zwischen der Realität an vielen Schulen mit oft unzureichender technischer Ausstattung und den viel besseren Voraussetzungen in der freien Wirtschaft, die manche Firmen offenbar als Grundlage für ihre Überlegungen nehmen. Sie sind dann später wahnsinnig überrascht, was in Schulen alles (noch) nicht geht.
- der Diskrepanz zwischen Schulen mit Top-Ausstattung und Schulen, die reine Mangelverwaltung betreiben: Technische Lösungen von Microsoft & Co. – egal ob Hardware oder Software – gehen oft von idealen Voraussetzungen aus, zum Beispiel flotten Tablets für alle Schüler*innen und schnellem Internet in jedem Winkel der Schulgebäude. Auch hier prallen Wunsch und Wirklichkeit in der Praxis hart aufeinander – und das führt zu Frust!
- der Diskrepanz zwischen technikaffinen, wissbegierigen Lehrkräften und digitalen Einsteigern, die mittlerweile zwar motiviert sind, aber sich eben schwer tun. Wenn Firmen Produkte und Ideen für Schulen entwickeln, dann lassen sie sich offenbar vor allem von enthusiastischen Digital-Profis mit Vorwissen beraten, statt auch einfache Anwender*innen einzubeziehen.
Man muss also nicht die hellste Kerze auf der Torte sein, um endlich zu kapieren, dass die Digitalisierung in deutschen Schulen ein langwieriger Prozess ist – aus vielen verschiedenen Gründen.
Ich finde es prinzipiell löblich, wenn Unternehmen sich in diesen Prozess einbringen – gerne mit Expertise, gerne auch mit Unterstützung darüber hinaus. Davon kann unser Schulsystem und damit auch unsere Gesellschaft nur profitieren.
Um dem Aufschrei der Lobby-Polizei vorzubeugen: Natürlich muss es klare Regeln dafür geben, in welcher Form und in welchem Umfang Unternehmen sich im Bildungsbereich engagieren dürfen. Für den Austausch darüber braucht es ein transparentes Forum, damit reine Lobbyarbeit vermieden wird.
Praxisnahe Tipps statt abgehobene Fachsimpelei
Ich würde mir auch wünschen, dass Tech-Firmen wieder öfter auf den Boden der Tatsachen zurückkehren und die Brücke zur durchschnittlichen Lehrkraft besser schlagen.
Nach meiner Beobachtung hat Microsoft bei seinen Schulungsangeboten zuletzt eher IT-affine Themen gepusht – sicher auch um neuere Produkte wie Azure und Power Apps zu etablieren.
Doch die meisten Lehrenden kämpfen im Alltag nicht mit irgendwelchen Rechtevergaben in 👉🏼 Intune oder der SharePoint-Architektur hinter Microsoft Teams. Sie kämpfen mit verrutschten Absätzen in Word, verschwundenen OneNote-Notizen und ruckelnden Videos auf dem Smartboard.
Mit den heutigen Vorträgen in Köln hat Microsoft aber wieder einen guten Weg eingeschlagen: Praxisnahe Tipps zur 👉🏼 Aufgabenfunktion in Teams und lustige Spielereien in Minecraft sind für alle greifbar.
Vorträge und Schulungen – egal ob online oder offline – brauchen wieder mehr Anbindung an den tatsächlichen Lehreralltag zwischen Unterricht und Homeoffice. Es braucht mehr Erzählungen darüber, wie Lehrende mit digitalen Tools effizient und kreativ arbeiten können.
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Ich vermisse zum Beispiel Angebote für all die Grundschullehrer*innen, die bei Instagram stolz ihre bunten Arbeitsblätter und animierten Trickfilme zeigen. Vielleicht kann Microsoft mit entsprechenden Kreativ-Workshops endlich auch ein diverseres Publikum in die Community locken. (Zumindest in Köln waren ältere weiße Männer mit IT-Affinität mal wieder in der Überzahl.)
Heute, morgen, übermorgen
Also: Bevor wir die „Schule der Zukunft“ angehen, sollten wir lieber erstmal die Schule aus der Vergangenheit in die Gegenwart holen. Die hoch-technologischen Ideen motivierter Unternehmensvertreter können wir sicher irgendwann noch gebrauchen – aber dafür ist gerade vielleicht (noch) nicht der beste Zeitpunkt.
Mein Appell an Firmen, die im Bildungsbereich mitspielen wollen: Steckt die Pläne für die Schule von morgen vielleicht nochmal in die Schublade für die Schule von übermorgen. Kümmern wir uns lieber erstmal gemeinsam um die ewig gestrige Schule von heute!