Roboter als Lehrer: Leitfaden für KI in Schulen schürt Ängste

Ich sehe grimmige Schüler mit Hemd und Krawatte. Sie sitzen gehorsam an Holztischen und tragen strenge Seitenscheitel. Vorne am Pult hockt kein Lehrer, sondern ein emotionsloser Roboter in Menschengestalt. Sieht so die Schule der Zukunft aus, wenn Künstliche Intelligenz das Klassenzimmer übernimmt?

Diese Vorstellung von Unterricht mit KI wird in Sachsen-Anhalt gerade bewusst verbreitet. Das dortige Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung (LISA) hat jetzt eine Handreichung zu Künstlicher Intelligenz in der Schule veröffentlicht. Offenbar hielt man dieses Titelbild für eine gute Idee:

Handreichung für Schulen in Sachsen-Anhalt
Handreichung für Schulen in Sachsen-Anhalt

Ein Roboter als Lehrer, dazu ausschließlich weiße Schüler (und keine Schülerinnen!), die uniformiert in Reih‘ und Glied sitzen: Natürlich wurde diese Abbildung zu Demonstrationszwecken und mithilfe einer KI generiert.

Das verraten die Herausgeber des Leitfadens selbst direkt in ihrer Einleitung. Für die abschreckende Wirkung habe man sich bewusst entschieden: „Das Bild auf dem Titel dieser Handreichung soll irritieren.“

UPDATE: Reaktion aus der Politik

Auf der Bildungsmesse didacta in Köln habe ich Jürgen Böhm mit dem abschreckenden Titelbild konfrontiert. Er ist seit einigen Monaten Bildungsstaatssekretär in Sachsen-Anhalt.

Jürgen Böhm, Bildungsstaatssekretär Sachsen-Anhalt im Interview mit Stefan Malter
Jürgen Böhm im Interview auf der didacta 2024

Im Interview mit mir bezeichnet er das ausgewählte Bild als „nicht recht gelungen“. Darüber wolle er nochmal mit den zuständigen Kollegen sprechen.

O-Ton Böhm: „Ich denke, das ist schon sehr düster. Ich hätte vieleicht ein anderes Titelbild genommen. […] Ich denke, die Realität ist halt eine ganz andere. Das ist vielleicht die Vorstellung derer, die diese Instrumente verhindern wollen.“

Meine Nachfrage: „Macht man so als Land Sachsen-Anhalt Lust auf KI?“

Antwort Böhm: „Nö.“


Roboter vor Kreidetafeln – immer und immer wieder …

Einen Preis für Originalität bekommt Sachsen-Anhalt jedenfalls auch nicht. Wer sich im Internet über KI in der Schule informiert, stößt zwangsläufig auf Abbildungen menschlicher Maschinen, die die Lehrer-Rolle übernehmen.

  • Roboter vor Tafel, netzpolitik.org
  • Roboter vor Tafel, Landesmedienzentrum Baden-Württemberg
  • Roboter vor Tafel, systemrelevant-info.de
  • Roboter vor Tafel, eastdigital.ch
  • Roboter vor Tafel, Technische Hochschule OWL
  • Roboter vor Tafel, cio.de
  • Roboter vor Tafel, heise.de
  • Roboter vor Tafel, it-daily.net
  • Roboter im Klassenzimmer, Landeszentrale für politische Bildung NRW

Selbst etablierte Online-Medien und Bildungseinrichtungen sind sich nicht zu blöd dafür, diese immer gleichen Motive zu nutzen. Besonders absurd: Viele der Roboter nutzen noch gerne Kreidetafeln! (Overheadprojektoren sind mir bislang aber nicht aufgefallen … 😉)

Auch Zeitschriften und Buchcover zum Thema Künstliche Intelligenz kommen selten ohne Roboter aus. Man könnte echt den Eindruck gewinnen, dass die Übernahme der Maschinen schon kurz bevor steht.

Fällt es uns einfach schwer, so abstraktive Themen wie Artificial Intelligence und Machine Learning anderweitig zu begreifen? Brauchen wir Darstellungen wie in Science-Fiction-Filmen, um neue Technologien zu bebildern?

KI in Schulen – mehr als ein kurzer Hype

Ich gehe davon aus, dass Du ChatGPT, Bing oder Midjourney schon mal ausprobiert hast. Seit nicht mal einem Jahr sind diese Technologien frei verfügbar und krempeln vor allem unsere Arbeitswelt um.

Als einer der ersten Autoren habe ich damals hier im Blog über die Chancen und Risiken von ChatGPT im Unterricht berichtet (- übrigens auch mit Roboter-ähnlichen Abbildungen). Mittlerweile wissen wir: Künstliche Intelligenz ist definitiv mehr als ein kurzer Hype!

ChatGPT in der Schule

ChatGPT in der Schule: Beispiele für KI im Unterricht

ChatGPT in Schule & Unterricht: Wie können Schüler mit Künstlicher Intelligenz lernen? Vor welchen Risiken von ChatGPT sollten Lehrer warnen? …

Die Anwendungen sind rasend schnell in Schulen angekommen. Schüler entdecken die Möglichkeiten von ChatGPT für Referate und Hausaufgaben. Lehrkräfte diskutieren im Netz über ihre Erfahrungen mit den Tools. Bildungsministerien veröffentlichen in wenigen Monaten sogar ganze Handreichungen zu KI im Unterricht. Kaum zu glauben!

Dabei reden wir vorrangig von Online-Tools, also von Internetseiten und Apps mit Eingabefeldern, vielleicht noch von Spracherkennung. Wir stellen der KI in natürlicher Sprache unsere Fragen und Aufgaben. Die Software erzeugt dann möglichst passende Antworten und produziert Inhalte wie Texte, Bilder, Musik und Videos. Die Ergebnisse sind zweifelsohne beeindruckend, manchmal auch spooky.

KI-generierte Inhalte basieren auf unendlich vielen Daten, die wir Menschen im Internet zur Verfügung stellen. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Tools wie der Bing Image Creator bei „Künstlicher Intelligenz in der Schule“ auch wieder an Roboter im Klassenzimmer denken und passende Bilder entstehen.

Roboter als Lehrer - generiert von Bing Image Creator
Roboter als Lehrer – generiert von Bing Image Creator

Ich sehe bislang aber keine Anzeichen dafür, dass Lehrkräfte reihenweise ausgemustert und durch selbst denkende Maschinen mit Armen und Beinen ersetzt werden.


Medienkompetenz statt Abschreckung

Auch deshalb finde ich jede bedrohlich wirkende Bebilderung so problematisch – gerade im Bildungsbereich. Muss man eine Handreichung über KI in der Schule wirklich als dystopischen Zukunfts-Thriller beginnen?

Manche Kolleg*innen tun sich eh schon schwer damit, neue Technologien für sich zu entdecken. Sie fühlen sich beim Einrichten ihres Dienstgerät für die Schule unsicher und haben Angst, beim Speichern von Dateien in der Cloud etwas falsch zu machen.

Wir möchten Lehrkräfte aber doch dafür gewinnen, digitale Tools für sich zu entdecken. Wir möchten ihnen Lust darauf machen, sich mit den Möglichkeiten von Hardware und Software offen auseinanderzusetzen – natürlich auch kritisch.

Als Medientrainer und Multiplikator thematisiere ich zum Beispiel die Risiken der KI-Tools in jeder Schulung und in zahlreichen Blog-Artikeln. Der große Bereich Medienkompetenz wird gerade wichtiger als jemals zuvor.

Doch Bilder von Robotern, die Schüler einschüchtern und Job-Ängste schüren, sind für Lehrerfortbildungen und Diskussionen im Kollegium gerade keine hilfreiche Motivation.

Stattdessen erweisen uns abschreckende Zukunfts-Vorstellungen wie auf dem Heft aus Sachsen-Anhalt erweisen einen Bärendienst, wenn es um die sachliche Vermittlung von Künstlicher Intelligenz geht.

Reaktion aus Sachsen-Anhalt: „Berechtigter Punkt.“

Ich habe heute einen der Verantwortlichen mit meiner Kritik an dem düsteren Titelbild konfrontiert. Kay Adenstedt vom Landesinstitut Sachsen-Anhalt hat mir online bei Bluesky geantwortet:

„Stimmt. Berechtigter Punkt. Irritationen war bewusst. […] Ein uneingeschränkt positives Bild würde jedoch auch nicht ohne Kritik bleiben können. Alternativvorschlag in visueller Form herzlichen willkommen. […] Bei allem Vorteilhaften und Vielversprechenden (so der Hauptteil) ging es uns auch um eine Ausgewogenheit bzgl. der durchaus vorhandenen kritischen Apekte (u. a. gesells., eth.). In der Tat ist aber eine Titelbildauswahl für derartige Komplexitäten immer ein Stück unzulänglich.“

Für einen Alternativvorschlag hätte sich der Blick über den Tellerrand angeboten. Wie es anders geht, zeigen zum Beispiel die Handlungsleitfäden für KI in Schulen aus anderen Bundesländern sowie von der EU.

Es gibt sogar eine eigene Website, die sich dem Problem der bildlichen Darstellung von Künstlicher Intelligenz widmet. Auf Better Images of AI gibt’s konkrete Vorschläge – abseits von stereotypischen Roboter-Bildern.

Unabhängig vom Titelbild erscheint mir die Handreichung aus Sachsen-Anhalt übrigens lesenswert. In den Sozialen Netzwerken wird der Inhalt der Broschüre auch von Lehrkräften mehrfach gelobt. Soweit ich das beurteilen kann, waren das jedenfalls keine Roboter.

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