Update vom 28. April 2022
Das Kultusministerium in Baden-Württemberg sieht sich offenbar genötigt, die unglückliche Pressemitteilung des LfDI nochmal einzuordnen. Am Montag hatte der Datenschutzbeauftragte des Landes mal wieder für große Verunsicherung und Aufregung an Schulen gesorgt (s. u.). Mit einer eilig nachgeschobenen E-Mail versucht das Kultusministerium nun wohl, den entstandenen Schaden zu begrenzen und klarzustellen:
„Entsprechend der Vereinbarung mit dem Kultusministerium aus dem vergangenen Schuljahr hat der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (LfDI) Baden-Württemberg angekündigt, dass er auf Schulen zugehen wird, bei denen ihm Beschwerden gegen die Nutzung des Cloud-Dienst Microsoft 365 oder Microsoft Teams vorliegen, und sie darum bitten, einen Plan vorzulegen, um auf Alternativen umzusteigen oder den datenschutzkonformen Einsatz nachzuweisen. Es geht also nicht um eine pauschale Untersagung der Microsoft-Produkte. Das Kultusministerium legt Wert darauf, dass der jeweilige Einzelfall genau betrachtet wird und die Beratung der Schulen im Vordergrund steht.„
Im weiteren Text der E-Mail versucht das Kultusministerium noch, die Schulen von den eigens eingerichteten Angeboten zu überzeugen. Die Sachinformation ist allen Einrichtungen längst bekannt: Sofern diese Microsoft 365 und Microsoft Teams als Lernmanagement-System einsetzen würden, stünden ihnen alternativ auch itslearning und Moodle zur Verfügung.
Entscheidend sind also zwei Aussagen:
- Schulen dürfen Microsoft-Software weiter nutzen.
- Der Datenschutzbeauftragte reagiert nur bei einer Beschwerde.
Schon wieder wirft die missglückte Kommunikation der baden-württembergischen Behörden Fragen auf: Warum klappt die Abstimmung zwischen LfDI und Kultusministerium so schlecht? Ist der Datenschutzbeauftragte wiederholt vorgeprescht und nimmt bewusst in Kauf, dass er an Schulen Unruhe verbreitet? Überschreitet das Team um Stefan Brink seine Kompetenzen, indem es ein Ultimatum setzt und mit Nachdruck den Abschied von Microsoft 365 Education verlangt?
Sehr treffend finde ich dazu den aktuellen Kommentar von Thomas Speck, dem Vorsitzenden des Berufsschullehrerverbands Baden-Württemberg:
„Der ganze Vorgang ist mehr als ärgerlich, weil er zu großer Verunsicherung an den Schulen geführt hat. Anscheinend hat wohl auch die klarstellende Mitteilung des Kultusministeriums noch nicht alle Schulen erreicht.“
Auch das unabhängige Portal Dr. Windows greift die Politposse in Baden-Württemberg heute nochmal auf. Autor Martin Geuß sieht die Bildung als Verlierer:
„Es entsteht der Eindruck, dass der Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink öffentlich die Hosenträger schnalzen lassen wollte und man im Kultusministerium entsetzt dachte ‚Meine Fresse, was macht der Kerl da?‘.“
Kommunikation wie bei der Mafia
Auf der gerade angesagten Social-Media-Plattform Mastodon gibt sich der LfDI währenddessen gut gelaunt und spickt seine Kommentare mit vielen ironischen Zwinker-Smileys. Man möchte bei dem Thema ungern als „Bedenkenträger“ wahrgenommen werden und sieht sich als „Gestalter (!😊)“.
Während die Datenschutz-Bubble dort von „aktiver Wirtschaftsspionage“ spricht und gezielt zu Beschwerden über Schulen aufrufen will, animiert man unverhohlen freudig mit „nur her damit 😉👍🏻“ oder klingt subtil wie die Mafia: „Wir können sehr überzeugend sein. 😉“.
Trotz massiver Verunsicherung und Kritik vieler Lehrer*innen ist man beim LfDI jedenfalls zweifelsfrei von der eigenen Arbeit überzeugt: „Wir machen einfach so das Richtige 😊“.
Meine Meinung: Wenn sich eine Behörde (!) auf diese Weise öffentlich äußert, muss sie sich auch gefallen lassen, dass man an ihrer Professionalität und Neutralität in der Sache zweifelt. Mit solchen Aussagen bestätigen Brink und sein Team den Eindruck, nur politisch motiviert zu agieren, Schulen einschüchtern zu wollen und sich gar nicht für eine konstruktive Lösung zu interessieren.
Stattdessen baut man gegenüber Schulen ein Droh-Szenario auf: Wer sich nicht an die freundlichen Empfehlungen des LfDI hält, bekommt dann eben überzeugenden Besuch vom „Paten“. Dabei reiben sich die Datenschützer im Hintergrund feixend die Hände und feiern sich für den vermeintlichen Teilsieg gegen das kommerzielle Feindbild.
Leider sorgt diese Art der Kommunikation ein weiteres Mal dafür, dass das wichtige Thema Datenschutz unter vielen Lehrenden negativ wahrgenommen wird.
Vorsorglich und aus Erfahrung noch eine Klarstellung: Ich stehe weder auf der Seite von Microsoft noch vom LfDI. Ich beobachte die Entwicklungen aus Perspektive der vielen Lehrer*innen, die gerne und erfolgreich mit Microsoft 365 Education arbeiten und die Software einfach gerne rechtssicher einsetzen möchten. Sie sind die Leidtragenden, denen ständig das Gefühl vermittelt wird, bei der Nutzung digitaler Tools mit einem Bein im Knast zu stehen. Viele fühlen sich von den Behörden und offiziellen Stellen gegängelt, von Microsoft aber auch nicht vertrauensvoll informiert. Vor allem sehnen sie sich nach Klarheit und einer zufriedenstellenden Lösung dieses Dauerkonflikts.
Update vom 26. April 2022:
Microsoft hat jetzt mit einer Stellungnahme auf die gestrige Pressemitteilung des LfDI in Baden-Württemberg reagiert. Gegenüber der sehr geschätzten Online-Plattform Dr. Windows heißt es:
„Wir haben die Pressemitteilung des LfDI zur Kenntnis genommen, die sich auf eine Bewertung aus dem April 2021 bezieht. Wir sind weiterhin fest davon überzeugt, dass Microsoft 365 auch an Schulen DSGVO-konform eingesetzt werden kann. Hierzu setzen wir die Gespräche mit Dr. Stefan Brink, Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit Baden-Württemberg, fort, um zu erläutern, wie die bisherigen Kritikpunkte aus dem Abschlussbericht behoben wurden und wie Schulen Microsoft 365 datenschutzkonform einsetzen können.“
Außerdem äußerte sich heute der Berufsschullehrerverband Baden-Württemberg. Ein pauschales Verbot von Microsoft 365 halte man für falsch. Es könne sogar Kooperationen mit Ausbildungsbetrieben gefährden.
„Schulen, die Nutzung von MS 365 zu untersagen, wäre genauso falsch wie die Förderung von Open-Source-Alternativen einzustellen. […] Unsere Ausbildungsbetriebe erwarten, dass wir Software einsetzen, die in Industrie-, Handels-, und Handwerksbetrieben üblich ist. Zur Erfüllung unseres Bildungsauftrages brauchen wir Open-Source-Produkte und Lizenz-Software. Unsere Schulen müssen beides verwenden können.“
Diese Forderung entspricht übrigens auch meiner bereits in der ursprünglichen Meldung formulierten Stoßrichtung (s. u.). Die ganze Absurdität bringt Bildungs-Coach Miriam Lerch bei Twitter gut auf den Punkt:
„Ich wohne an der Ländergrenze BW-BY. Während sogar die Neu-Ulmer Schulbehörde #ms365 nutzt & diverse Schulen auf #teams für die interne Kommunikation setzen, sollen sich die Nachbarschulen in #Ulm wie Verbrecher fühlen.🤷🏻♀️ Da ist Föderalismus & alle Absurdität hautnah erlebbar🤪“
Update vom 25. April 2022:
Steuert der monatelange Machtkampf in Baden-Württemberg auf seinen Höhepunkt zu? So könnte man jedenfalls die aktuelle Pressemitteilung des Datenschutzbeauftragten verstehen. Anders als manche Medien es interpretieren, spricht Stefan Brink (LfDI) aber erneut KEIN Verbot von Microsoft 365 im Schulbetrieb aus.
In der Meldung nennt er auch keine konkreten Konsequenzen für die weitere Nutzung von Microsoft 365. Stattdessen entsteht aber der Eindruck, man wolle Schulen per Ultimatum erneut unter Druck setzen – im Text freundlich als „Erwartung“ und „Bitte“ formuliert. Die Pressemitteilung liest sich aus meiner Sicht, als würden die Verantwortlichen um eindringlich wirkende Formulierungen ringen.
Zwei Optionen für Schulen in Baden-Württemberg
Bis zu den Sommerferien 2022 hätten Schulen zwei Optionen:
- den datenschutzkonformen Betrieb von Microsoft 365 eindeutig nachzuweisen
oder
- die Nutzung von Microsoft 365 zu beenden und Alternativen für den Schulbetrieb anzubieten.
Diese vermeintliche Auswahl wirkt natürlich perfide – wissend, dass Schulen so einen Nachweis nur bedingt selbst erbringen können.
„Schulen, die der Ansicht sind, dass ihr Einsatz und ihre Konfiguration von MS 365 den rechtlichen Anforderungen genügt und die den Cloud-Dienst weiter nutzen möchten, müssen nun begründen, wie sie den datenschutzkonformen Betrieb sicherstellen und dies entsprechend ihrer Rechenschaftspflicht nach Artikel 5 Absatz 2 Datenschutz-Grundverordnung eindeutig nachweisen wollen.“
Im Internet melden sich schon erste Kanzleien zu Wort, die Schulen beim datenschutz-konformen Einsatz von Microsoft 365 beraten möchten – so wie es viele Unternehmen in Deutschland und der EU bereits handhaben.
Der LfDI setzt dagegen weiter auf die schon vor einer Weile veröffentlichen Ergebnisse eigener Messungen zu einer bestimmten Konfiguration der Software. Stefan Brink reicht offenbar der – zweifelsohne begründete – Verdacht, dass das Education-Angebot von Microsoft personenbezogene Daten im Ausland verarbeitet. Nach meiner Kenntnis gibt es aber in der gesamten EU kein einziges Gerichtsurteil wegen tatsächlicher rechtlicher Verstöße.
Unsere Nachbarn in Österreich nutzen Microsoft 365 Education im Schulsystem zum Beispiel ganz offiziell und legal. Selbst unsere Landesdatenschützer sind in der Vergangenheit zu unterschiedlichen Einschätzungen gekommen, wie die Software genutzt werden darf (s. u.). Offensichtlich ist die rechtliche Lage nicht so eindeutig, wie man hier vermitteln will.
Was heißt das für Lehrer, die Microsoft Office nutzen möchten?
Wichtig zu wissen: Der LfDI bezieht sich in seiner Pressemitteilung auf den Schulbetrieb in Baden-Württemberg. Stefan Brink geht es wohl vorrangig darum, sensible Daten der Schüler*innen zu schützen – was ich prinzipiell nachvollziehbar finde.
Lehrer*innen dürfen aber weiterhin ihr Unterrichtsmaterial mit den Office-Programmen von Microsoft erstellen!
Arbeitsblätter, Lesetexte, Präsentationen und Tafelbilder können sie immer noch mit Word, Excel, PowerPoint und OneNote gestalten. In diesen Dokumenten und Dateien tauchen in der Regel ja gar keine personenbezogenen Daten auf.
Microsoft 365 Education: Datenschutz in der Schule ...
Darüber hinaus kündigt der LfDI an, auf die betreffenden Schulen in Baden-Württemberg zugehen zu wollen und diese individuell „bei der Suche nach Alternativen“ zu beraten. Darauf wirke man gemeinsam mit dem Kultusministerium hin, so heißt es nachdrücklich in der Pressemitteilung.
Als Ausweich-Software werden u. a. das oft gescholtene Videokonferenz-Tool BigBlueButton und die Plattform itslearning genannt. Letztere nutzt übrigens die Cloud-Services AWS von Amazon. Eine mindestens gleichwertige Alternative zur mächtigen Kommunikationsplattform Microsoft Teams und der vielseitigen Notizbuch-App OneNote kann das Kultusministerium offenbar nicht anbieten.
Mittlerweile hat Microsoft mit einer Stellungnahme auf die heutigen Pressemitteilung des LfDI reagiert (s. Update vom 26.04.2022).
Ursprünglicher Beitrag vom 25. Mai 2021:
Wer sich zur Situation in Baden-Württemberg äußert, bewegt sich erfahrungsgemäß auf ganz dünnem Eis! Microsoft-Gegner und -Befürworter streiten sich dort seit Monaten darüber, ob Software wie Teams, OneNote und Office 365 in Schulen genutzt werden darf und sollte.
Ausgetragen werden die Grabenkämpfe nicht nur hinter den Kulissen: Im Internet kann man sich fast täglich von den verhärteten Fronten überzeugen – inklusive der üblichen Emotionen und Beschimpfungen in den Sozialen Netzwerken, über die hier im Blog auch schon berichtet habe.
Grabenkämpfe um Bildungsplattform
Um die Situation rund um die geplante „Bildungsplattform“ besser zu verstehen, habe ich mich in den vergangenen Wochen mit betroffenen Lehrer*innen in Baden-Württemberg ausgetauscht – übrigens mit Vertretern beider Lager. Sie haben zumindest gemeinsam, dass sie mit der unklaren Lage im Land unzufrieden sind. Auf die Debatte um Microsoft 365, Teams und die Office-Programme in Schulen reagieren sie ziemlich genervt.
In diesem Blog-Artikel fasse ich den Stand der Dinge aus meiner Sicht zusammen. Ich will ihn aus verschiedenen Perspektiven einordnen – an manchen Stellen sicher verkürzt dargestellt. Zum besseren Verständnis empfehle ich Dir einen Blick auf die jeweils verlinkten Beiträge.
Wer steht wie zu Microsoft 365 in Schulen?
Rund 30 Prozent der Schulen in Baden-Württemberg arbeiten laut Schätzung des Kultusministeriums mit Microsoft 365. Sie sind offenbar ziemlich zufrieden damit, wie immer wieder zu hören und zu lesen ist. Eine umfassende Befragung zur Zufriedenheit an Schulen mit allen jeweils verfügbaren Tools gibt es bislang leider nicht. Warum eigentlich nicht?
Nach einer aktuellen Prüfung rät der Datenschützer des Landes nun von der Nutzung von Microsoft 365 in Schulen ab. Das ist aber nur eine unverbindliche Empfehlung und nur eine Einschätzung für ein bestimmtes getestetes Setting des Software-Pakets, wie Dr. Stefan Brink in diesem interessanten Podcast-Interview angenehm sachlich erläutert.
Trotzdem sind viele Schulen verunsichert: Dürfen sie in Zukunft noch mit Microsoft 365 Education arbeiten? Welche rechtlichen Konsequenzen hätte die Nutzung dann für sie? Gibt es Wege, die beliebten Office-Programme ohne personenbezogene Daten zu nutzen?
Zusätzliche Zumutung in der Corona-Zeit
Gerade in der Corona-Pandemie haben viele Schulen von sofort verfügbaren Tools wie Microsoft Teams und OneNote profitiert. Lehrer*innen, Schüler*innen und auch Eltern konnten schnell darauf geschult werden. Sie sind jetzt mit dem Software-Paket vertraut. Eine erneute Umstellung mit allen daraus resultierenden Folgen empfinden sie in der aktuellen Situation als Zumutung.
Das zuständige Kultusministerium steht nun unter Zugzwang und irgendwie auch zwischen den Stühlen: Man will einerseits die Bedürfnisse und Wünsche vieler Schulen berücksichtigen und endlich eine professionell funktionierende Bildungsplattform anbieten. Diese sollte zunächst eben auch Teile von Microsoft 365 enthalten, so der Plan noch vor einigen Monaten. Andererseits muss das Angebot in Zukunft rechtssicher nutzbar sein. Ausbaden muss das Dilemma nun wohl die neue Landesregierung in Baden-Württemberg (s. u.).
Laute Lager kämpfen für ihre Interessen
Währenddessen haben sich einige Interessensverbände zusammengeschlossen. Sie fordern von der neuen Landesregierung eine Open-Source-Lösung mit landeseigener IT-Infrastruktur, dem dazugehörigen technischen Support und entsprechenden Fortbildungen. Ähnlich hatten sich zuvor schon Informatiklehrer*innen in Baden-Württemberg geäußert, deren Positionspapier wiederum auch kritisiert wurde.
Experten befürchten zudem, dass die Entwicklung eines so ambitionierten Open-Source-Projekts langwierig, teuer und fürs Land kaum zu stemmen wäre – auch mit Blick auf die dauerhafte Betreuung inklusive Support vor Ort. Zuletzt wurde jedenfalls bekannt, dass Schulen bald nicht mal mehr auf den bewährten IT-Service des Hochschulnetzes BelWue setzen können.
Auch wenn sie lautstark auftreten: Die Verbände vertreten anscheinend nicht die Meinung der mehrheitlich Betroffenen, wenn man dem Ergebnis dieser Umfrage von News4Teachers mit vielen tausend Teilnehmern glaubt. Einige Schulleiter in Baden-Württemberg machen sich zudem große Sorgen um den Mehrwert der schulischen Ausbildung, falls der Branchen-Standard Microsoft 365 im Bildungsbereich verboten wird.
Unterstützung bekommen sie von Unternehmern im Land: Diese „kritisieren die Fixierung auf Open-Source-Software als realitätsfremd und naiv“. Schüler*innen haben sogar eine Online-Petition gestartet: Sie wollen ein Verbot von Microsoft-Produkten nicht hinnehmen.
Medial einseitige Erzählung
Ausgewogene Berichterstattung findet man zu dem Thema kaum, meinen die oben erwähnten Schulleiter in ihrem TV-Interview. Ich teile den Eindruck: Microsoft-Bashing ist für viele Medien offenbar ein beliebter Klick-Bringer – gerade im Technologie-Bereich. Die immer gleiche Erzählung: Böser Konzern, heile Open-Source-Welt!
Online-Redaktionen verbreiten Pressemitteilungen der Datenschützer munter, ohne die genauen Ergebnisse zu kennen oder die Vorgehensweise der Behörde mal zu hinterfragen. Manche Journalisten machen im Netz keinen Hehl daraus, dass sie in der Frage parteiisch sind. Sie blasen bereitwillig ins Kampagnen-Horn der Interessensverbände. Nur die wenigsten machen sich die Mühe, mit betroffenen Schulen vor Ort über deren Erfahrungen mit unterschiedlicher Software zu sprechen.
Und wie äußert sich Microsoft zur Diskussion? Laut Landesdatenschützer Dr. Stefan Brink sei der Austausch mit den Konzernvertretern in Deutschland und in den USA zwar jederzeit professionell, engagiert und konstruktiv gewesen. Auch mit dem Kultusministerium steht das Unternehmen offenbar noch in Kontakt. Eine öffentliche Stellungnahme von Microsoft gibt es dazu aber aus eigenem Antrieb (meines Wissens) nicht.
Mit dem Ergebnis der jüngsten Datenschutzprüfung kann man dort sicher nicht zufrieden sein. So verliert Microsoft im schlimmsten Fall nicht nur die in der Pandemie für sich gewonnenen Schulen. Die Nicht-Kommunikation gefährdet aus meiner Sicht auch das Vertrauen bislang loyaler Nutzer im Bildungsbereich. Hat man denn wirklich keine Ahnung, welche personenbezogenen Daten von Lehrern und Schülern bei der Nutzung Microsoft 365 Education verarbeitet und weitergeleitet werden?
Wie geht’s weiter in Baden-Württemberg?
Der Ball liegt jetzt bei der neuen Kultusministerin. Für das bisherige Chaos ist Theresa Schopper natürlich nicht verantwortlich. Trotzdem ist der Druck nach den Chaos-Jahren groß: Es muss der Grünen-Politikerin endlich gelingen, eine zufriedenstellende Bildungsplattform für Schulen in Baden-Württemberg an den Start zu bringen. Auf der offiziellen Website des Ministeriums findet man von ihr zum Antritt nur ein ziemlich inhaltsleeres Statement: „Den Begriff Digitalisierung sollten wir weiter mit Leben füllen, pragmatisch, nah an der Schulrealität und zügig.“
Nur: Wie „pragmatisch“ kann eine Entscheidung ausfallen, die in jedem Fall vielen Beteiligten vor den Kopf stoßen wird? Welche „Schulrealität“ soll eigentlich der Maßstab sein, wenn Lehrkräfte diese so unterschiedlich erleben? Auch der Begriff „zügig“ ist bekanntermaßen dehnbar: Der Aufbau der Bildungsplattform sollte nach letztem Stand erst im Frühjahr 2023 abgeschlossen sein.
Die weitere Umsetzung hängt sicher auch davon ab, wie viel Geld Theresa Schopper für diese Bildungsplattform zur Verfügung steht. Man kann der neuen Kultusministerin nur ein gutes Händchen für die Kommunikation zwischen allen Interessensgruppen wünschen.
Datenschutz mit Augenmaß, Chance für Medienkompetenz
Ich bin bekanntermaßen kein Freund von „entweder/oder“-Entscheidungen. Schließlich haben auch in Baden-Württemberg beide Lager gute Argumente und Gründe für ihre jeweils bevorzugte Lösung – mit und ohne Microsoft-Software.
Meine persönliche Meinung wiederhole ich deshalb auch hier gerne:
Schüler*innen sollten SOWOHL freie und unabhängige Tools ALS AUCH kommerzielle und etablierte Software kennenlernen.
Zur Medienkompetenz gehört es, verschiedene gängige Programme sicher zu bedienen, deren jeweilige Vor- und Nachteile einzuschätzen und dann als mündige Nutzer*innen eine Entscheidung für das richtige Werkzeug treffen zu können.
Das Thema Datenschutz lässt sich zudem wunderbar im Unterricht unterbringen. Berufsvorbereitend halte ich den Umgang mit Microsoft Office für unverzichtbar, solange die Programme Standard in vielen Unternehmen sind. Schule darf keine Parallelwelt sein und per se ausklammern, was ihr anrüchig erscheint. Lehrende müssen immer auch im Blick behalten, welche Kenntnisse die moderne Lebens- und Arbeitswelt erfordert. Diese zu lehren, klappt auch ohne personenbezogene Daten.
„Datenschutz ist wichtig, muss aber mit Augenmaß betrieben werden.“ – so schreiben es die Schüler in ihrer Online-Petition. Hinter diesem Satz steckt auch die verbreitete Wahrnehmung, dass Datenschützer eher Verhinderer als Möglichmacher sind. Dabei werden deren meist sachlichen Einschätzungen oft nur von Lobbyisten zur eigenen Bestätigung interpretiert und instrumentalisiert, um politisch gewollte Entscheidungen durchzusetzen.
Tauziehen ohne Gewinner
Das Tauziehen der Microsoft-Gegner und -Befürworter in Baden-Württemberg geht also weiter. Währenddessen sind es vor allem engagierte Lehrkräfte im Land, die sich Tag für Tag um die technische Infrastruktur in ihrer Schule kümmern. Das machen sie meist zusätzlich nebenbei, vielleicht honoriert mit „Ausgleichsstunden“.
Auch ihnen ist zu wünschen, dass sich alle Beteiligten endlich wieder mehr aufeinander zu bewegen und vor allem Verständnis für die individuellen Bedürfnisse vor Ort zeigen. Bei Grabenkämpfen gibt es nämlich nur eines ganz sicher: Verlierer auf beiden Seiten.
Ich denke auch, dass die Kommunikation nicht gut funktioniert und Schulen und Lehrer:innen allein gelassen werden. Der aktuelle Artikel schiebt die „schlechte“ Kommunikation aber recht einseitig den LfDI unter. Das sehe ich anders. Was soll eine Kontrollbehörde denn tun, wenn sie deutlich sagt, dass etwas so nicht einsetzbar ist, aber ignoriert wird? Wäre das Bildungsministerium ein Wirtschaftsunternehmen, hätte es vermutlich bei schon lange eine Untersagung bekommen. Warum? Die Aufsichtsbehörden fordern in der OH Telemedien 2021 eine dreistufige Beurteilung bei „berechtigtem Interesse“ als Rechtsgrundlage: (1) Das BERECHTIGTE Interesse muss dargestellt werden. Das dürfte in vielen Fällen gelingen. (2) Es ist das mildeste Mittel zu wählen. Das wird angesichts verfügbarer Alternativen nur dort gelingen, wo es darum geht, dass Schüler:innen anschließend das PRODUKT M365 kennen, wie z.B. an Berufsschulen. (3) Güterabwägung: Berechtigtes Interesse am Einsatz von M365 durch eine Schule vs. Schutz der Grundfreiheiten und Grundrechte von Schlüler:innen. Gerade bei jüngeren Kindern dürfte das in der Regel nicht zugunsten der Wahlfreiheit des Mittels ausgehen.
Wir reden hier in diesem Artikel und insgesamt in der Diskussion um den Einsatz von M365 viel zu wenig davon, dass wir in unserem Schulsystem zu wenig Zeit für IT-Management bzw. IT-Kompetenz haben (soweit es selbst gemacht wird). Microsoft suggeriert, dass es leicht sei, M365 einzurichten. Das ist der Fall was Funktionalität angeht, aber definitiv nicht was Datenschutzkonformität angeht. Denn Microsoft liefert das Produkt als one-size-fits-all (internationales „best practice“, gespickt mit der standardmäßig aktiver Übermittlung von Telemetriedaten). Eine typische Grundschule ist hoffnungslos überfordert, überhaupt alle Einstellmöglichkeiten durchzugehen geschweige denn sinnvoll einzustellen. Hinzu kommt, dass das es bei einem „Evergreen-Modell“ eben nicht ausreicht, M365 ein Mal „korrekt“ einzustellen, sondern jede Änderung am System muss bewertet und es muss ggf. nachjustiert werden. Das schaffen viele mittelständische Unternehmen nicht richtig. Dies von Lehrer:innen „nebenbei“ zu erwarten ist vor allem eines: Ein Versämnis des Bildungsministeriums. Hier muss Zeit und Geld eingeplant werden. IT und Datenschutz machen sich nicht von selbst.
Klarstellung: Egal ob man Microsoft, itslearning oder eine andere Lösung wählt: Zeit, KnowHow, Beratung und Kontrolle sind in jedem Fall erforderlich. Die Frage sollte eher lauten, in welchem Modell man (a) die Grundbedingungen einhalten kann und (b) langfristig die besseren Synergieeffekte erzielt. Denn die meisten Lehrenden möchten sich lieber um ihre Lehrinhalte kümmern statt sich mit IT- und Datenschutz-Fragen zu beschäftigen. Daher brauchen sie professionellen Support. Der ist aber bei keinem „Tool“ inklusive.
Vielen Dank für Deinen differenzierten und ausgewogenen Kommentar mit guten Denkanstößen!
Man merkt, dass jemand keine Sachargumente mehr vortragen kann, wenn er anfängt, einen angeblichen Stil oder persönliche Motive zu analysieren.
Die Schärfe, die dadurch in eine Diskussion kommt, ist dann häufig dadurch ausgelöst. Denn wenn jemand den Mitdiskutanten derart analysiert, erwartet er eine Reaktion auf dieser Ebene.
Das ist dann häufig das Ende der Diskussion auf der Sachebene. Daher schade, dass Du/Sie diese wichtige Diskussion nun auf diese Ebene geführt hast/haben.
Vielen Dank für Deinen / Ihren Kommentar und das Feedback. Zu den bekannten Sachargumenten gibt es in diesem und vielen weiteren Blogs ja schon ausreichend Lesestoff. In diesem Artikel kommentiere aber tatsächlich die kritikwürdige Kommunikation der zuständigen Verantwortlichen, die viele Lehrer*innen sehr unglücklich finden. Das schließt den Austausch auf Sachebene m. E. nicht aus, und der inhaltliche Diskurs ist nach meinen Beobachtungen im Netz schon längst beschädigt. Bei Twitter & Co. kann man sich regelmäßig davon überzeugen, wie die unterschiedlichen Parteien miteinander umgehen. Beste Grüße!
„Vielleicht magst Du meine Arbeit ja unterstützen oder mir zumindest mal einen Kaffee spendieren“
Halt ich für unverfroren. Zahlt etwas MS nicht für diese Werbeschrift?
Dies ist ein unabhängiges Blog-Projekt, das ich als Privatperson betreibe. Weder Microsoft noch sonst eine Firma nehmen Einfluss auf den Inhalt.
https://www.malter365.de/info/
Dem kann ich nur zustimmen!
Ja, unbedingt in eine eigene Lösung investieren, wir haben viel zu lange, viel zu wenig in diesem Bereich gemacht und uns auf die großen Konzerne in USA verlassen. Aber diese dann über ein Verbot der Konkurrenz vorschreiben? Was soll das? Wenn sie wirklich gut ist – mindestens so gut, wie das MS-Produkt und dann sogar noch datenschutzkonform – dann wird sie sich in den Schulen auch durchsetzen!
Und wie ich immer sage: Datenschutz fängt nicht erst beim eingesetzten LMS an. Alle LMS laufen auf Browsern und diese auf einem Betriebssystem. Datenschutz heißt, den SuS die Kompetenz zu vermitteln, selbstständig zu entscheiden und auf allen Ebenen der IT die für sie passenden Einstellungen vorzunehmen. Datenschutz im „Helikoptermodus“ ist kein Schutz, sondern Bevormundung und widerspricht dem Bildungsauftrag.
PS: Die Werbeeinblendungen sind etwas aufdringlich! Auf dem Smartphone konnte ich diesen Artikel nicht lesen, weil er alle paar Sekunden von einer Anzeige überdeckt wurde oder eine neue Seite mit Werbung aufging …
Interessante Zusammenfassung – vielen Dank. Hier ein paar meiner Gedanken dazu:
o In dieser Situation gibt es einfach nicht *die* Lösung, die alle glücklich machen wird. Wir müssen damit leben, dass nicht alles perfekt ist. Das große Versäumnis besteht darin, dass wir nicht früher angefangen haben, Schritte hin zu einer sinnvollen Digitalisierung und Individualisierung des Schulbetriebs zu unternehmen.
o Es muss auch nicht alles landesweit oder gar bundesweit einheitlich geregelt sein, denn ansonsten könnten sich ja gar keine unterschiedlichen Ansätze entwickeln.
o Datenschutz ist sicher wichtig, darf aber kein Totschlagargument sein. Microsoft ist nicht böse, sondern lediglich eine Firma, die IT-Lösungen anbietet, die man mag oder auch nicht.
o Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. Auch wenn es im Moment eine gesellschaftliche Entwicklung hin zu mehr Staat gibt, zeigt sich an vielen Beispielen, dass man am Ende mit privatwirtschaftlich organisierten Lösungen wahrscheinlich besser fahren wird.
o Alle ideologiegetriebenen Forderungen wie „es muss OpenSource sein“ helfen nicht weiter. Die Verantwortlichen müssen sich unter Beteiligung der Betroffenen zusammenraufen und ohne Scheuklappen nach guten Lösungen suchen. Die oben erwähnten Grabenkämpfe werden uns unseren Zielen nicht näherbringen.
Ganz abgesehen von den rechtlichen Fragen (besonderes Schuldatenschutzrecht) hat das Pilotprojekt m.E. sehr deutlich hervorgebracht, dass Microsoft sein eigenes Produkt nicht richtig erklären.
OnTop: Die MFA App ist leider mir Trackern gut bestückt und es wurden zahlreiche nicht erklärbare Datenflüsse in Teams festgestellt. Microsoft wollte oder konnte diese nicht erklären.
https://fragdenstaat.de/anfrage/bewertungen-und-empfehlungen-des-lfdi-zu-office-365-an-schulen/